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Lilith - Das Tabuisierte Weibliche

Wenn wir von Lilith sprechen, knüpfen wir an die umstrittene Schöpfungsgeschichte der Kirche an.

In dem Buch Genesis, Kapitel 1, Vers 27 heißt es: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ Mann und Frau, als zwei Arten des Menschen, welche gleichwertig gegenüberstehen. Im zweiten Kapitel des Genesis, Vers 22 steht hingegen geschrieben: „Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu.“ Eine Frau, die aus dem Mann entstand und ihn damit für immer untergeordnet sei.


Dieser Widerspruch wurde in der hebräischen Religionsgeschichte von Ben Sira, damit erklärt, dass Lilith die erste Frau von Adam gewesen sei, welche sich ihm nicht beugen wollte. Sie sei, wie es auch im Genesis 1 steht, Adam gleichwertig gewesen. Doch da sie und Adam sich viel miteinander gestritten haben und beide einander nicht zuhörten, verließe Lilith den Garten Eden. Ein Abbild, welches Konflikt- und Ambivalenzunfähigkeit zeigt und in der Psychotherapie als Zeichen für Selbstwertstörungen aus frühen seelischen Verletzungen steht. Adam und Lilith schaffen es nicht, wie Erwachsene vernünftig miteinander zu reden, Kompromisse zu finden und aus verschiedenen Standpunkten Freude zu ziehen.

Adam, welcher nicht alleingelassen werden wollte, habe daraufhin zu Gott gefleht. Dieser habe drei Engel (Sanoy, Sansenoy und Samangelof) zu Lilith geschickt, mit der Botschaft: „Mit jedem Tag, den du vom Garten Eden fernbleibst, werden hundert deiner Kinder sterben.“

Da auch die Botschaft von Gott, Lilith nicht zurück in den Garten Eden lockte, galt sie seither als Dämonin, Mutter des Teufels oder, wie auch in Goethes Werken des Fausts, als Hexe. Durch ihre Wollust und Begierde wurde Lilith auch für die Fantasien der Männer verantwortlich gemacht. Ihre Dämonisierung bestünde in der Verführung der Männer und dem Töten der Kinder. Doch die Kinder, die ein Bild von Lilith oder die drei Namen der Engel auf ein Amulett geschrieben hatte und mit sich trugen, die seien von Lilith beschützt und geheilt worden. Eine Annahme, warum Lilith wegen ihrer Flucht bestraft und Adam trotz seiner Unreife verschont worden ist, sei, dass es damals den Männern vorgesehen war, heilige Schriften zu führen.




Der psychiatrische Psychotherapeut Hans Joachim Maaz deutet Eva, die nach Lilith, laut Genesis (Kapitel 2, Vers 22) durch die Rippe von Adam erschaffen und in den Garten Eden Einzug nahm, als Repräsentantin des angezüchteten Selbstbetruges.  Nach Maaz sei Eva der externalisierte, kontrolliert geglaubte und gesellschaftlich geduldete Selbstbetrug. Bei dem der Mann insgeheim erahne, dass auch Eva, so wie sein Trieb, in letzter Konsequenz nicht vollständig kontrollierbar sei.

Das von Michel Angelo gezeichnete Bild „Garten Eden“, stellte Lilith als Halb-Frau und Halb-Schlange dar, welche zu Eva zugewandt war und Adam mit einem Dolch bedrohte. Eva hingegen kann als sehnsüchtig und ängstlich in diesem Bild interpretiert werden, mit einer eher passiven Rolle. Ebenfalls kann Eva auch als Kind von Lilith und Adama interpretiert werden, welche die Triebtheorie und den Ödipus-Komplex verkörpert. Laut der Triebtheorie lag es früher hauptsächlich am Kind, seine sexuellen und aggressiven Impulse zu beherrschen, während die Rolle der Eltern bei psychosozialen Problemen übersehen und die reaktive Natur von Aggressivität ignoriert wurde. Nach der Ödipus-Sage, wird dem Kind unterstellt, ein sexuelles Interesse am gegengeschlechtlichen und eine Rivalität mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil zu haben. Nach Maaz (2020, S.9), können die Triebtheorie und der Ödipus-Komplex, durch die Säuglings- und Kleinkinderforschung der letzten 20 Jahren, jedoch nicht mehr aufrechterhalten werden.



Lilith, die als Symbol der sich verführerisch, widersetzenden Frau gilt, lehnt die Mutterschaft ab und steht für Selbstbestimmtheit, Unabhängigkeit und Gleichwertigkeit der Sexual- uns Lebensform ein. Die Kinderfeindlichkeit und Ablehnung der Mutterschaft wird bei der Frau bis heute als Egoismus und generelle Liebesunfähigkeit und Lebensfeindlichkeit stigmatisiert. Die Aspekte der Weiblichkeit hatten keine Daseinsberechtigung im internalisierten idealen Mutterbild; wurden verleugnet und verdrängt und damit ins Unterbewusstsein verlagert, denn eine gute Mutter hat so nicht zu sein (vgl. Maaz, 2020).

In der Frauenbewegung (kein Matriarchat, welches den Mann als Gegner betrachtet) wird Lilith, die aufruft, zur eigenen Wahrheit zu stehen und unsere Dunkelheit und unser Licht gleichermaßen anzunehmen; die sagt, dass wir mutig sein sollen leidenschaftlich zu brennen, ohne zu befürchten, in den Augen anderer missverstanden zu werden, als positives Gegenbild von Eva verstanden.




Kann die Verleugnung von den Lilith-Aspekten einer Frau, somit zu psychosozialen Folgen und einer Selbstentfremdung führen?

Maaz (2020) sagt, dass mit der Integration der Lilith-Aspekte des Weiblichen wesentliche Ursachen für die Entstehung von Mütterlichkeitsstörungen vermieden werden können (S.195).


Integration der Lilith-Aspekte:


Die Frau, die das Selbstbewusstsein hat, die Verschiedenheit zum Mann anzuerkennen, gelingt es dem Mann ebenbürtig und gleichwertig (nicht gleichartig) gegenüber zustehen. Eine Mutter mit einem solchen Selbstwert vermittelt ihrem Kind respektvolle Wertschätzung. Sie würdigt seine Einmaligkeit und akzeptiert das Geschlecht des Kindes und sättigt somit den Narzissmus des Kindes und stabilisiert deren Identität. Dadurch schützt sie ihr Kind vor einem süchtigen Antrieb äußeren Anerkennungen und hilft über alle Angriffe des Selbstwertes (äußere, wie innere) hinweg (vgl. Maaz, 2020, S. 195-196).


"Die Verantwortung für ihr Sexualleben, für die Wege zur Lust und die Abstimmung mit dem Partner bleibt bei der Frau, sofern sie „Lilith“ integriert. Die selbstständige Lustfähigkeit ist ein wesentlicher Autonomieschritt aus früherer Abhängigkeit. Nicht mehr vom Partner wird die Befriedigung erwartet, sondern mit ihm kann eine Erweiterung und Vertiefung des Lusterlebens erreicht werden."(Maaz,2020, S.196).


„Der Lilith-Anteil würdigt die körperliche, emotionale und soziale Überforderung der Mutter, ihr Recht auf Entlastung und Unterstützung, ihr Recht auf ‚Auszeiten‘ in der Kinderpflege und ihr selbstverständliches Recht, nicht ausschließlich Mutter zu sein, sondern auch weiterhin Frau, Partnerin und egoistischer Mensch zu bleiben.“ (Maaz,2020, S.197).


Lilith, gelebt durch ein ehrliches Mitteilen, aller gewerteten Aspekte von Gut und Böse. Die Akzeptanz zweier Aspekte (männlich und weiblich).


Weiterführende Darstellungen der Lilith sind im babylonischen Schrifttum durch die Göttinnen Lamaschtu und Ishtar zu erkennen. Ishtar wiederum ist am deutlichsten im Gilgamesh Epos/ die Verbannung der Medusa sichtbar gemacht. Im indischen findet man sie im Form von Shakti und Kali wieder. Auffällig ist, dass allen gemein, das Symbol der Schlange sie begleitet.


Erinnerung: Nichts ist endgültig festgeschrieben. Auch nicht die Geschichte.




Literaturverzeichnis:

3: Börner-Klein, D. (2007). „Das Alphabet des Ben Sira. Hebräisch-deutsche Textausgabe mit einer Interpretation“ Wiesbaden Marixverlag.   Siehe auch: https://jwa.org/node/23210

4: Maaz, Hans J. (2020). Der Lilith Komplex. Die dunklen Seiten der Mütterlichkeit. München: dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG.


Bildverzeichnis:

Die Bilder sind mit den Urheberquellen verlinkt.












 
 
 

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