Das Männliche und das Weibliche
- Pauline Linke
- 7. Apr. 2024
- 3 Min. Lesezeit
In der heutigen Welt werden die zwei Pole, das Männliche, aktive, bewegende und das Weibliche, stille, rezeptive mehr als je zuvor sichtbar. Gesehen werden kann es in Debatten zwischen „Baby Boomer“ und „Generation-Z“, von der Zunahme der Stressintoleranz und daraus auch resultierend, chronischen Krankheiten, Frauenbewegungen, sowie zuletzt auch in Beziehungsdynamiken. Dieser Austausch und die Bewegungen scheinen notwendig für ein tiefergehendes Bewusstsein zu sein. Es wird deutlich, dass eine Disbalance zwischen den beiden Polen (männlich und weiblich) herrscht.

Den bekanntesten Bezug zum Männlichen und Weiblichen, assoziieren wir, neben ‚Mann‘ und ‚Frau‘, mit dem chinesischen Symbol von Yin und Yang. Interessant ist, dass das chinesische Symbol von Yin und Yang sich auf jeden Menschen (egal ob Mann oder Frau) und auf jeden Gegenstand bezieht. Alles auf der Erde wird sowohl einen weiblichen, als auch einen männlichen Pol, zugeschrieben.
Ann Belford Ulanov, eine amerikanische Psychotherapeutin und Analystin von C.G. Jung’s Werken, äußerte sich wie folgt:
„Das Feminine ist die Hälfte der menschlichen Ganzheit, ein wesentlicher Teil von ihr, ohne die Ganzheit unmöglich wäre. Ganzheit beinhaltet beide Pole, bei Arten und Ganzheit ist nicht einfach Identifikation und Verschmelzung, sondern Gegensätzlichkeit und Vereinigung gemeint. Wir brauchen beide Pole, um den jeweils anderen zu verstehen, weil jeder an der Entwicklung und Vervollkommnung des anderen beteiligt ist. Wenn wir diese sich ergänzenden Pole als „Männlichkeit“ und Weiblichkeit“ bezeichnen, so sollen damit nicht der Mann oder die Frau charakterisiert werden, sondern eine Reihe von Eigenschaften, die beide Geschlechter symbolisch beschreiben.“
Wie eingangs erwähnt herrscht, eine Disbalance zwischen den Polen, Männlich und Weiblich, welche in jedem einzelnen von uns gemeinsam wirksam sind. Wer trägt nun die Verantwortung für die Missstände, die wir in der Welt sehen? Oft fällt in diesem Zusammenhang das Wort „Patriarchat“ und damit kommen wiederum häufig Verstrickungen zustande.
Es ist ein großes Missverständnis des Begriffs „Patriarchat“, wenn wir damit ausschließlich die soziologische Herrschaft des Mannes meinen. Der Begriff impliziert mehr, als nur die relative Machtposition von Männern und Frauen gegenüberzustellen. Patriarchat definiert das männliche Bewusstsein, welches die Trennung von Bewusstem und Unbewusstem herbeiführt. Wenn der zweite Definitionsaspekt berücksichtig wird, kann davon ausgegangen werden, dass eine Gleichberechtigung und -stellung von Mann und Frau, die vorherrschende Disbalance der beiden Pole (männlich und weiblich), nicht in seiner Gänze austariert.
Es ist ein Beginn und notwendiger Schritt, doch um die Vorherrschaft des Maskulinen Bewusstseins nachhaltig überwinden und eine wirkliche Gleichberechtigung und -stellung erzielen zu können, müsste kritisch hinterfragt werden, welche relative Machtposition das Denken und Fühlen einnimmt und damit auch verbunden, welche geschlechtsspezifischen Assoziationen wir diesen zuschreiben. Als Beispiel assoziieren wir mit den Begriffen „Selbstbewusst und Sensibel“ tendenziell eher Frauenund mit den Begriffen „Strukturiert und logisch zum Ziel“ tendenziell eher Männer, wobei beides lediglich Aspekte des Weiblichen und des Männlichen sind.
Die Entwicklung, sowohl der Gesundheit, als auch der psychologischen Reife eines Menschen hängt davon ab, wie fähig er selbst ist, die Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit objektiv und vorurteilsfrei im Denken, Fühlen und im Verhalten bei sich selbst, anderer sowie in der Welt betrachten zu können.
So könnte folglich auch die Formulierung „Überwinden des maskulinen Bewusstseins“ fehlgedeutet und interpretiert werden. Die Akzeptanz und Anwendung des Maskulinen ist eine Notwendigkeit, um die Balance der beiden Pole wieder herstellen zu können - um eine Ganzheit in sich selbst zu kultivieren. Verständlicher kann es durch die Worte der Psychologin Sukie Colegrave werden: „Das maskuline Prinzip hilft uns nicht nur, die Welt zu erkennen, in der wir leben, zwischen den verschiedenen Aspekten der Natur zu unterscheiden, zu klassifizieren und zu ordnen, es führt uns auch zur Erfahrung unserer grundsätzlichen Individualität. Es gibt uns die Gewissheit, dass wir vollkommen allein in der Welt stehen, ungeschützt von Institutionen, persönlichen Beziehungen und Ideologien, oder von der Zugehörigkeit zu Rasse, Geschlecht oder Klasse. Es bringt die außerordentliche und oft erschreckende Erkenntnis, dass wir in nichts und niemand außer uns selbst nach Antwort und Ziel suchen können.“
Der Mittelpunkt des Seins sind keine äußeren Dinge - Menschen, Institutionen, Ideen oder persönlichen Leidenschaften- es ist die eigne Autorität des Individuums. Und Individuation sollte nicht mit Egozentrik verwechselt werden. Wie C. G. Jung schrieb:
„Individuation schließt den einzelnen nicht von der Welt aus, sonder versammelt die Welt in ihn.“
Schau dir in diesem Zusammenhang auch gerne folgende Videos an:
Weiterführende Literatur findest du bei den Autoren:
Richard Rohr
Diana Richardson
David Deida
Comentarios